Zur moeglichen Ausbreitung radioaktiver Partikel nach der Havarie im AKW Fukushima I

Stand: 12. April 2011

Die anhal­ten­de Frei­set­zung radio­ak­ti­ver Sub­stan­zen aus den hava­rier­ten Reak­tor­blo­ecken des AKW Fuku­shi­ma I sorgt wei­ter­hin fuer welt­wei­te Beun­ru­hi­gung und fuer beho­erd­li­che Maß­nah­men wie Import­stopps fuer Lebens­mit­tel aus der Kri­sen­re­gi­on. Hier­mit moech­ten wir Ihnen einen Ueber­blick ueber den der­zei­ti­gen Stand und die moeg­li­chen Fol­gen des Reak­tor­ung­lueckes geben, soweit dies uns nach vor­lie­gen­den Infor­ma­tio­nen moeg­lich ist.

Bis­her lie­gen uns nach sorg­fa­el­ti­ger Aus­wer­tung einer Viel­zahl serio­eser Quel­len kei­ne Infor­ma­tio­nen ueber nen­nens­wert erhoeh­te oder gar gesund­heits­ge­fa­ehr­den­de Mess­wer­te in ein­zel­nen auf unse­ren aktu­ell statt­fin­den­den Rei­sen besuch­ten Laen­dern und Regio­nen vor. Alle Japan­rei­sen haben wir bis 30. Juni abge­sagt, Auf­ent­hal­te und Besu­che im Nord­os­ten Japans und in einem Umkreis von 200 Kilo­me­tern um Fuku­shi­ma I sind bei kei­ner unse­rer Rei­sen vor­ge­se­hen.

Unse­re Dar­stel­lung beruht auf aktu­el­len Lage-Ein­schaet­zun­gen amt­li­cher natio­na­ler Insti­tu­te wie zum Bei­spiel dem Bun­des­amt fuer Strah­len­schutz (BfS), dem Hein­rich-von-Thue­nen-Insti­tut (vTI) einer Ein­rich­tung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums fuer Erna­eh­rung, Land­wirt­schaft und Ver­brau­cher­schutz oder auf den mehrt­ae­gi­gen Zug­bahn­pro­gno­sen des Deut­schen Wet­ter­diensts (DWD). Zudem haben wir auf Infor­ma­tio­nen inter­na­tio­na­ler Orga­ni­sa­tio­nen zuru­eck­ge­grif­fen, wie zum Bei­spiel der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO), der Inter­na­tio­na­len Atom­ener­gie­beho­er­de (IAEA) und der Orga­ni­sa­ti­on zur Ueber­wa­chung des Atom­test­stopp-Abkom­mens (CTBTO), die ueber ein umfas­sen­des Netz­werk von ueber 60 Mess­sta­tio­nen welt­weit ver­fuegt. Die vor­lie­gen­den Infor­ma­tio­nen geben den Stand vom 11. April 2011 wie­der. Bei rele­van­ten Ver­a­en­de­run­gen in ein­zel­nen Regio­nen infor­mie­ren wir umge­hend.

1. Tschernobyl und Fukushima I: Zwei unterschiedliche Reaktortypen

In der aktu­el­len Dis­kus­si­on um eine Aus­brei­tung radio­ak­ti­ver Belas­tung in der Atmos­phae­re spie­len die Erin­ne­run­gen an die Reak­tor­ka­ta­stro­phe in Tscher­no­byl vom April 1986, die nach­fol­gen­de Aus­brei­tung einer radio­ak­ti­ven Wol­ke ueber wei­ten Tei­len Euro­pas und die Aus­wa­schung radio­ak­ti­ver Sub­stan­zen durch die dama­li­gen Regen­fa­el­le in wei­ten Tei­len Mit­tel­eu­ro­pas eine wich­ti­ge Rol­le. Dazu ist grund­saetz­lich fest­zu­hal­ten, dass es sich beim Reak­tor­block IV in Tscher­no­byl um einen voll­kom­men unter­schied­li­chen Reak­tor­typ gehan­delt hat und somit die Frei­set­zung von Radio­ak­ti­vi­ta­et damals voll­kom­men anders erfolgt ist.

Ver­ein­facht gesagt: In Tscher­no­byl han­del­te es sich um einen soge­nann­ten gra­phit­mo­de­rier­ten Reak­tor, das heißt Gra­phit wur­de zur Steue­rung der im Inne­ren der Brenn­stoff­zel­len ablau­fen­den ato­ma­ren Spalt­pro­zes­se ein­ge­setzt. Bei Ueber­hit­zung beginnt Gra­phit zu bren­nen und kann dadurch eine nuklea­re Ket­ten­re­ak­ti­on im Reak­tor­kern nicht mehr brem­sen. In der Fol­ge ist der Reak­tor in Tscher­no­byl bereits weni­ge Stun­den nach Beginn der Stoerun­gen explo­diert. Mit der Explo­si­on wur­den gro­ße Men­gen radio­ak­ti­ver Sub­stan­zen direkt aus dem Reak­tor­kern mit Wucht frei­ge­setzt und in gro­ße Hoehen geschleu­dert. Dies erleich­ter­te die schnel­le Ver­we­hung und Ver­brei­tung der radio­ak­ti­ven Sub­stan­zen ueber gro­ße Distan­zen.

Die Reak­to­ren in Fuku­shi­ma I sind Sie­de­was­ser­re­ak­to­ren, die Brenn­sta­ebe lie­gen wie ein Tauch­sie­der im Was­ser­kreis­lauf, der die Tur­bi­nen antreibt. Mode­riert wird die in den Brenn­sta­eben ablau­fen­de Kern­spal­tung durch Steu­er­sta­ebe aus nicht brenn­ba­rem Bor­kar­bid. Im Fal­le einer Stoerung besteht die Haupt­ge­fahr im Tro­cken­fal­len der Brenn­sta­ebe und im Ent­wei­chen radio­ak­ti­ven Damp­fes. Bei ein­tre­ten­der Kern­schmel­ze in den nicht mehr durch Was­ser gekuehl­ten Brenn­sta­eben wer­den in ers­ter Linie das Grund­was­ser und das Erd­reich gefa­ehr­det, nur bei erneu­tem Kon­takt mit Was­ser kann eine Was­ser­dampf­ex­plo­si­on groeße­re Men­gen Radio­ak­ti­vi­ta­et in die Atmos­phae­re frei­set­zen. Die Brenn­sta­ebe ver­wan­deln sich im schlimms­ten Fall bezie­hungs­wei­se am Ende des unkon­trol­lier­ten Ablau­fens der Ket­ten­re­ak­tio­nen in eine radio­ak­ti­ve Schmel­ze, die im Fal­le eines Super-GAUs durch die Reak­torum­man­te­lung in das Erd­reich ein­dringt. Grund­saetz­lich ist bei die­sem Reak­tor­typ die Gefa­ehr­dung fuer Grund­was­ser und Erd­reich groeßer als fuer die Atmos­phae­re.

Nicht zuletzt die Berich­te ueber erhoeh­te Strah­len­do­sen in land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ten aus der Umge­bung von Fuku­shi­ma bele­gen jedoch, dass auch in Fuku­shi­ma I in groeße­rem Maße Radio­ak­ti­vi­ta­et in die Atmos­phae­re gelangt ist.

2. Radioaktive Substanzen, die bisher schwerpunktmaeßig ausgetreten sind

Fuer die Fra­ge der Bewer­tung der mit­tel- und lang­fris­ti­gen Fol­gen ist von gro­ßer Bedeu­tung, wel­che Radio­nu­kli­de (insta­bi­le Atom­sor­ten, deren Ker­ne radio­ak­tiv zer­fal­len) in die Luft bezie­hungs­wei­se ins (Meer-) Was­ser frei­ge­setzt wur­den. Jedes Radio­nu­klid hat eine bestimm­te Halb­werts­zeit, in der sich Men­ge und Zer­fall auf die Haelf­te redu­ziert. Je kuer­zer die Halb­werts­zeit, umso schnel­ler redu­ziert sich die Radio­ak­ti­vi­ta­et.

Bis­her geht man davon aus, dass in Fuku­shi­ma vor allem fol­gen­de Radio­nu­kli­de mit den genann­ten Halb­werts­zei­ten frei­ge­setzt wur­den:

  • Iod-131 I-134 8 Tage
  • Cae­si­um-134 Cs-134 2 Jah­re
  • Cae­si­um-136 Cs-136 13 Tage
  • Cae­si­um-137 Cs-137 30 Jah­re

3. Maßeinheiten und gesetzliche Grenzwerte fuer radioaktive Strahlung

Bec­que­rel gibt die Staer­ke der Radio­ak­ti­vi­ta­et in einer bestimm­ten Sub­stanz­men­ge an: 1 Bec­que­rel bedeu­tet ein zer­fal­len­des Atom pro Sub­stanz­ein­heit pro Sekun­de. Der Mess­wert bezieht sich somit immer auf eine bestimm­te Men­ge: bei Lebens­mit­teln auf Bq/​kg, bei Luft pro Kubik­me­ter (qm). 1000 Mil­li­bec­que­rel (mBq) sind 1 Bec­que­rel (Bq).

Sie­vert bezeich­net die Strah­len­do­sis (effek­ti­ve Dosis): Sie gibt an, wie­viel Ener­gie aus radio­ak­ti­ver Strah­lung vom Koer­per auf­ge­nom­men wur­de. Sie ist abha­en­gig von der Art der Strah­lung und des jewei­li­gen Radio­nu­klids. Die Strah­len­do­sis ist der Quo­ti­ent zwi­schen auf­ge­nom­me­ner Strah­lungs­en­er­gie und Mas­se in kg. Unter­ein­hei­ten sind Mil­li­sie­vert 1000 mSv = 1Sv) und Mikro­sie­vert (1000 µSv = 1 mSv). Das heißt 1 Mil­li­on Mikro­sie­vert (µSv) = 1000 Mil­li­sie­vert (mSv) = 1 Sie­vert (Sv).
Fuer eine Abschaet­zung der Strah­len­be­las­tung ist eine genaue Beach­tung der jewei­lig ver­wen­de­ten Maß­ein­heit aeu­ßerst wich­tig.
Eini­ge Grenz­wer­te zum Ver­gleich: Die Dosis durch natu­er­li­che Hoehen­strah­lung bei einem Flug von Muen­chen nach Japan betra­egt 100 µSv, die durch­schnitt­li­che Strah­len­ex­po­si­ti­on einer Per­son in Deutsch­land aus natu­er­li­chen Quel­len betra­egt 2000 3000 µSv/​Jahr, der gesetz­li­che Grenz­wert fuer zusaetz­lich erlaub­te jaehr­li­che Strah­len­ex­po­si­ti­on der Gesamt­be­voel­ke­rung aus kuenst­li­chen Quel­len wie zum Bei­spiel durch kern­tech­ni­sche Anla­gen, radio­ak­tiv belas­te­te Lebens­mit­tel usw. liegt bei 1000 µSv/​Jahr. Fuer beruf­lich Expo­nier­te (Ange­stell­te in AKWs, Flug­be­glei­ter usw.) gilt ein jaehr­li­cher Grenz­wert von 2000 µSv/​Jahr gleich 2 mSv (Mil­li­sie­vert – 1 mSv sind 1000 µSv.), fuer Ange­stell­te in Nukle­ar­an­la­gen gilt ein auf das gesam­te Berufs­le­ben bezo­ge­nes Limit von 400 mSv.

4. Verbreitung radioaktiver Substanzen ueber die Atmosphaere: Aktuell keine besorgniserregende Entwicklung

Radio­ak­ti­ve Nukli­de koen­nen sich in der Luft sehr viel schnel­ler ver­brei­ten als im Was­ser. Hier ist eine weitrae­u­mi­ge Ver­brei­tung radio­ak­ti­ven Mate­ri­als bereits Tage nach einem Reak­tor­ung­lueck moeg­lich.

Grund­saetz­lich konn­ten mitt­ler­wei­le mit hoch­sen­si­blen Mess­ge­rae­ten in fast allen Mess­sta­tio­nen der noerd­li­chen Hemis­phae­re gering­fue­gig erhoeh­te radio­ak­ti­ve Wer­te nach­ge­wie­sen wer­den, das heißt die in Fuku­shi­ma frei­ge­setz­ten Radio­nu­kli­de haben sich tatsaech­lich in den letz­ten Wochen ueber die gesam­te Nord­halb­ku­gel ver­brei­tet. Zum Bei­spiel wur­de Ende Maerz bei Braun­schweig ein Anstieg der Radio­ak­ti­vi­ta­et um 0,37 mBq (Mil­li­bec­que­rel) gemes­sen, bei Frei­burg (Mess­sta­ti­on Schau­ins­land) um 0,25 mBq, in einer Mess­sta­ti­on in Schwe­den sogar 1,7 mBq.

Seit Anfang April (Stand 11.4. 2011) sind die gemes­se­nen Wer­te sowohl in den deut­schen als auch in aus­ge­wa­ehl­ten inter­na­tio­na­len Mess­sta­tio­nen wie­der rueck­lae­u­fig. Inter­na­tio­nal wur­den nur eini­ge Tagen nach den Was­ser­dampf-Explo­sio­nen von Mit­te Maerz und nur in der 200 Kilo­me­ter sued­west­lich von Fuku­shi­ma I gele­ge­nen CTBTO-Mess­sta­ti­on von Taka­sa­ki Strah­len­wer­te fuer die bei­den rele­van­ten Radio­nu­kli­de Cae­si­um-137 und Iod-131 von jeweils knapp 10 Bq/​qm Luft gemes­sen. In allen ande­ren Mess­sta­tio­nen, die wegen der vor­herr­schen­den Wind­rich­tun­gen von beson­de­rer Bedeu­tung sind, blie­ben die Strah­len­wer­te im Bereich zwi­schen 1 und 10 mBq/​qm Luft. Die­se Anga­ben bezie­hen sich auf Mess­sta­tio­nen an der rus­si­schen Ost­ku­es­te, auf Hawaii und an der West­ku­es­te der USA.

Zum Ver­gleich: In Muen­chen wur­den nach dem GAU in Tscher­no­byl Anfang Mai 1986 um ein Viel­fa­ches hoehe­re Radio­ak­ti­vi­ta­ets­wer­te gemes­sen: Sie lagen bei deut­lich ueber 100 Bq/​qm Luft (davon 50 Bq Iod-131, 55 Bq Tel­lu­ri­um-132, 10 Bq Cae­si­um 137). (Quel­le: Bun­des­amt fuer Strah­len­schutz)

Einen Ein­blick in die moeg­li­che Ver­brei­tung radio­ak­ti­ver Par­ti­kel in der Atmos­phae­re bie­ten Zug­bahn­pro­gno­sen, die auf den vor­herr­schen­den Wind­stro­emun­gen basie­ren und jeweils fuer die kom­men­den 3-4 Tage gel­ten. Sie beru­hen auf den bereits bekann­ten Mess­wer­ten des CTBTO-Mess­netz­werks und auf der Annah­me einer fort­dau­ern­den und mas­si­ven Frei­set­zung von Radio­ak­ti­vi­ta­et im hava­rier­ten Reak­tor (
„Worst-Case-Sce­n­a­ri­os”).
Fazit aus den vor­lie­gen­den Zug­bahn­pro­gno­sen: Es zeich­nen sich aktu­ell (Stand: 11. April 2011) im Hin­blick auf die weitrae­u­mi­ge Ver­tei­lung radio­ak­ti­ver Par­ti­kel ueber die Atmos­phae­re kei­ne besorg­nis­er­re­gen­den oder gar dra­ma­ti­schen Ent­wick­lun­gen ab.

Dies gilt aus­dru­eck­lich auch fuer den Osten Chi­nas und fuer ande­re Tei­le des asia­ti­schen Kon­ti­nents. Bis zum Ende des Pro­gno­se­zeit­raums (aktu­ell 14.4. 0:00 Uhr UTC) ist bei wie­der ver­staerkt ein­set­zen­der Nord­west­stro­emung eine Ver­la­ge­rung radio­ak­ti­ver Sub­stan­zen Rich­tung Pazi­fik zu erwar­ten. Die vor eini­gen Tagen befu­erch­te­te Aus­wa­schung von radio­ak­ti­ven Iod-Iso­to­pen ueber Tei­len Koreas ist nicht bezie­hungs­wei­se nur in aeu­ßerst gering­fue­gi­gem Maße ein­ge­tre­ten. In Sue­dost- und Sue­da­si­en (Viet­nam, Indo­ne­si­en, Thai­land, Indi­en) lie­gen die Mess­wer­te sogar noch deut­lich unter den in Deutsch­land gemes­se­nen Wer­ten.

5. Radioaktive Kontaminierung des Meers vor Fukushima: Gefahr einer weitraeumigen Ausbreitung der Kontamination ueber das Meer vernachlaessigbar

In den letz­ten Tagen gelang­ten groeße­re Men­gen kon­ta­mi­nier­ten Was­sers durch geziel­te Frei­las­sung und durch Lecke und Ris­se in der Reak­tor­an­la­ge ins Grund­was­ser und vor allem ins direkt neben dem AKW befind­li­che Meer. Dazu kommt das Aus­wa­schen („wash out”) radio­ak­ti­ver Par­ti­kel aus der Luft durch Regen­fa­el­le. Die­ser Effekt kann sowohl lokal, aber auch ueber groeße­re Ent­fer­nun­gen ein­tre­ten, wenn vor­her radio­ak­ti­ve Par­ti­kel ueber die Luft in ent­fern­ter gele­ge­ne Regio­nen trans­por­tiert wor­den sind.

Der­zeit ist nicht abseh­bar, wie groß die ueber das Absi­ckern und Ablei­ten von belas­te­tem Was­ser erfol­gen­de Ein­lei­tung radio­ak­ti­ver Par­ti­kel tatsaech­lich war und immer noch ist. Es ist nach allen vor­lie­gen­den Berich­ten aus dem AKW jedoch damit zu rech­nen, dass die Ein­lei­tung unter­schied­lich hoch kon­ta­mi­nier­ten Was­sers sich in varia­bler Inten­si­ta­et ueber Tage und Wochen fort­set­zen wird. Das Bun­des­amt fuer Strah­len­schutz geht daher - ana­log zur Frei­las­sung in die Luft – von einer „anhal­ten­den und mas­si­ven Frei­set­zung von Radio­ak­ti­vi­ta­et” aus.

Das japa­ni­sche Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­um ana­ly­siert seit dem 23. Maerz 2011 im Abstand von 30 Kilo­me­ter zur Kues­te Was­ser­pro­ben von acht Mess­sta­tio­nen. Die hier gemes­se­nen Akti­vi­ta­ets­kon­zen­tra­tio­nen lie­gen um das Tau­send­fa­che nied­ri­ger als die Wer­te, die Tep­co nach eige­nen Vero­ef­fent­li­chun­gen eini­ge hun­dert Meter neben dem Ein­lei­tungs­ka­nal gemes­sen hat.

Wel­che Aus­wir­kun­gen sind zu befu­erch­ten? Eine weitrae­u­mi­ge Aus­brei­tung radio­ak­ti­ver Par­ti­kel wie ueber die Luft ist grund­saetz­lich auch im Meer nicht aus­zu­schlie­ßen. Mee­res­s­tro­emun­gen koen­nen Sub­stan­zen ueber wei­te Ent­fer­nun­gen trans­por­tie­ren, die Ver­brei­tung erfolgt jedoch deut­lich lang­sa­mer als in der Luft, die Kon­zen­tra­ti­on radio­ak­ti­ver Sub­stan­zen nimmt zudem durch den im Was­ser deut­lich hoehe­ren Ver­du­en­nungs­ef­fekt (Disper­si­on) schnel­ler ab.

Bis­her feh­len – mit Aus­nah­me von begrenz­ten Erkennt­nis­sen aus einem in den spae­ten 1970er Jah­ren auf­ge­tre­te­nen Leck in der Wie­der­auf­be­rei­tungs­an­la­ge in Sellafield/​UK – fun­dier­te wis­sen­schaft­li­che Erfah­run­gen ueber eine Aus­brei­tung von hoch­kon­zen­trier­ten Radio­nu­kli­den im Meer. Der Trans­port radio­ak­ti­ver Sub­stan­zen von Sella­field ueber die Nord­see bis zur ost­gro­en­la­en­di­schen Kues­te dau­er­te meh­re­re Jah­re! Ent­schei­dend fuer eine moeg­li­che Aus­brei­tung ist zudem, wel­che Radio­nu­kli­de ins Meer­was­ser gelan­gen. Bis­her gelang­ten vor allem Iod sowie Cae­si­um ins Meer, leich­te Ato­me, die sich schnell im See­was­ser loe­sen und somit ober­flae­chen­nah sehr weit trans­por­tiert wer­den koen­nen. Eine Belas­tung mit schwe­re­ren „kuenst­li­chen” Ato­men wie Plu­to­ni­um oder Ame­ri­cum ist bis­her nicht nach­weis­bar: Die­se Ato­me wuer­den sich jedoch leich­ter an Schweb­stof­fe bin­den und kues­ten­nah zum Mee­res­bo­den absin­ken. Das bereits erwa­ehn­te Hein­rich-von-Thue­nen-Insti­tut (vTI) stuft aktu­ell das Aus­brei­tungs­ri­si­ko in ent­fern­te Mee­res­re­gio­nen des Nord­pa­zi­fik als ver­nach­la­es­sig­bar ein. Auf­grund der in der Kues­ten­re­gi­on vor Fuku­shi­ma herr­schen­den Mee­res­s­tro­emun­gen ist eine Ver­la­ge­rung Rich­tung Sued­wes­ten (also Rich­tung Tai­wan, chi­ne­si­scher Kues­te oder gar Viet­nam) so gut wie aus­ge­schlos­sen. Es wird Mona­te oder sogar Jah­re dau­ern, bevor Kues­ten von Pazi­fi­k­an­rai­nern (zum Bei­spiel die West­ku­es­te Kana­das oder der USA) erreicht wer­den koenn­ten.

6. Radioaktive Kontaminierung von Lebensmitteln: De facto derzeit keine gesundheitsgefaehrdende Belastung von Nahrungsmitteln in all unseren Reiselaendern

Eine groeße­re Gefahr als durch die Ver­brei­tung radio­ak­ti­ver Kon­ta­mi­na­ti­on direkt im Was­ser besteht in der Anrei­che­rung die­ser Sub­stan­zen in der Nah­rungs­ket­te. Beson­ders die stoff­wech­sel­ak­ti­ven Algen und Muscheln bau­en radio­ak­ti­ve Sub­stan­zen schnell in ihren Stoff­wech­sel ein. Spei­se­fi­sche ste­hen meist am Ende einer mehr­stu­fi­gen Nah­rungs­ket­te. Ent­lang die­ser Nah­rungs­ket­te kommt es zuerst ein­mal zu einer Ver­zo­e­ge­rung bei der Wei­ter­ga­be der Radio­nu­kli­de ent­lang der Ket­te. Der Anstieg von Radio­ak­ti­vi­ta­et im Spei­se­fisch beginnt daher meist sehr lang­sam und erreicht erst nach meh­re­ren hun­dert Tagen ein Akti­vi­ta­ets­ma­xi­mum. Dies bedeu­tet auch, dass Radio­nu­kli­de mit kur­zen Halb­werts­zei­ten schon zer­fal­len sind, bevor sie im Fisch ange­rei­chert wer­den koenn­ten.

Die Akti­vi­ta­ets­stei­ge­rung ent­lang der Nah­rungs­ket­te fuehrt aller­dings auch dazu, dass in Spei­se­fi­schen eine bis zu hun­dert­fach hoehe­re Radio­ak­ti­vi­ta­et auf­tre­ten kann als im umlie­gen­den Was­ser. Laut Hein­rich-von-Thue­nen-Insti­tut (vTI) ist mit fol­gen­den Anrei­che­run­gen gege­nu­e­ber dem umge­ben­den Was­ser zu rech­nen: Zoo­plank­ton 18fach, Krus­ten­tie­re 25fach, Zoo­plank­ton fres­sen­de Fische 30fach usw. Die­sen Anrei­che­rungs­pro­zess ken­nen wir auch bei Land­tie­ren. Noch heu­te erreicht jedes fuenf­te in Bay­ern geschos­se­ne Wild­schwein einen Strah­len­wert von ueber 1000 Bq/​kg.

Wie wirkt sich der Ver­zehr von radio­ak­ti­vem Fisch auf den Men­schen aus? Das vTI hat dazu fol­gen­de Modell­rech­nung erstellt: Wuer­den bei einer Mahl­zeit 0,2 kg Fisch mit 1250 Bq/​kg (dem aktu­el­len, vor kur­zem ange­ho­be­nen Grenz­wert fuer Spei­se­fisch) mit je 50 Pro­zent CS-137 und 50 Pro­zent Cs-134 geges­sen, wuer­de dies einer
„effek­ti­ven Dosis” von 4µSv ent­spre­chen. Bei tae­g­li­chem Kon­sum die­ser Men­ge Fisch ueber 365 Tage haet­te der Mensch eine Jah­res­do­sis von 1,46 mSV auf­ge­nom­men. Damit lae­ge er leicht ueber der EU-Norm fuer Strah­len­schutz, die zusaetz­lich zur natu­er­li­chen Strah­lung eine Jah­res­do­sis von 1mSv aus kuenst­li­chen Quel­len erlaubt.
Radio­ak­ti­vi­ta­et in land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ten (vor allem Blatt­ge­mu­e­se und Milch): Eine Anrei­che­rung in land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ten ist nur moeg­lich, wenn Radio­nu­kli­de vor­her ueber die Atmos­phae­re trans­por­tiert und durch Regen­fa­el­le aus­ge­wa­schen wer­den. In der Tat wur­den in land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ten aus dem nae­he­ren Umkreis von Fuku­shi­ma stark erhoeh­te Strah­len­wer­te in Spi­nat, Blatt­sa­la­ten und auch in der Milch nach­ge­wie­sen.

Da mit Aus­nah­me eines sehr gerin­gen und weit unter­halb der Grenz­wer­te gele­ge­nen Fall­outs in einem Land­strich unweit der Demar­ka­ti­ons­li­nie zwi­schen Sued- und Nord­ko­rea kei­ne nur annae­hernd rele­van­ten Radio­ak­ti­vi­ta­ets­wer­te in der Luft außer­halb von Japan gemes­sen wur­den, ist weder im Pazi­fik­raum noch in ande­ren Tei­len Asi­ens in den naechs­ten Tagen mit einer erhoeh­ten Kon­zen­tra­ti­on von radio­ak­ti­ven Sub­stan­zen in Lebens­mit­teln zu rech­nen.

In Reak­ti­on auf die Mess­ergeb­nis­se in Lebens­mit­teln aus der Regi­on rund um Fuku­shi­ma haben vie­le Laen­der ihre Lebens­mit­tel­im­por­te aus Japan ein­ge­stellt bezie­hungs­wei­se Mes­sun­gen ange­ord­net. So verha­eng­te das chi­ne­si­sche Staat­li­che Haupt­amt fuer Qua­li­ta­ets­kon­trol­le und Qua­ran­tae­ne ein Ein­fuhr­ver­bot fuer Milch­pro­duk­te, Gemu­e­se, Obst, Mee­res­fru­ech­te und Algen aus allen Prae­fek­tu­ren Nord­ost­ja­pans. Die EU hat am 26. Maerz mit einer Ver­ord­nung den Import und die Moeg­lich­keit von Strah­len­mes­sun­gen bei Import­le­bens­mit­teln aus Japan gere­gelt. Deutsch­land fuehrt kaum Lebens­mit­tel aus Japan ein, von den 913.000 Ton­nen impor­tier­ten Fischs stam­men laut Ver­brau­cher­schutz­mi­nis­te­ri­um nur 60 Ton­nen aus Japan.

Fazit: Auf­grund einer de fac­to bis­her nicht exis­tie­ren­den radio­ak­ti­ven Belas­tung von Lebens­mit­teln in allen unse­ren Rei­sela­en­dern und den in vie­len Laen­dern exis­tie­ren­den Import­ver­bo­ten bezie­hungs­wei­se Import­be­schra­en­kun­gen und -kon­trol­len fuer Lebens­mit­tel­pro­duk­te aus Japan ist der­zeit aus­zu­schlie­ßen, dass Kun­den in Zusam­men­hang mit den Ereig­nis­sen in Japan in irgend­ei­nem unse­rer Rei­sela­en­der einer erhoeh­ten radio­ak­ti­ven Belas­tung aus­ge­setzt sind.

7. Kein erhoehtes Strahlenrisiko fuer Flugpassagiere

Nach allen vor­lie­gen­den Infor­ma­tio­nen gibt es der­zeit kei­ne Hin­wei­se auf ein erhoeh­tes Strah­len­ri­si­ko fuer Flug­zeu­ge oder Flug­pas­sa­gie­re von bezie­hungs­wei­se nach Japan. Dies besta­e­ti­gen in einer gemein­sa­men Aus­sen­dung die Inter­na­tio­na­le Agen­tur fuer Zivi­le Luft­fahrt ICAO, die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO und die Atom­ener­gie­beho­er­de IAEA. Es droht daher Kun­den, die ihre Flug­rei­se in einer Maschi­ne antre­ten, die aus einem vor­he­ri­gen Japan-Ein­satz zuru­eck­ge­kom­men ist, kein Risi­ko.

8. Beispiele fuer Entfernungen in der Region

Die fol­gen­de Über­sicht zeigt Ent­fer­nun­gen zwi­schen Fuku­shi­ma und wich­ti­gen Zen­tren in Ost- und Sue­dost­asi­en: Zum Ver­gleich ist die Ent­fer­nung zwi­schen Tscher­no­byl und Muen­chen ange­ge­ben.

Tscher­no­byl
– Muen­chen 1.400 km
Fuku­shi­ma
– Seo­ul 1.230 km
Fuku­shi­ma
– Shang­hai 1.800 km
Fuku­shi­ma
– Peking 2.140 km
Fuku­shi­ma
– Hong Kong 2.960 km
Fuku­shi­ma
– Hanoi 3.720 km
Fuku­shi­ma
– Bang­kok 4.650 km
Fuku­shi­ma
– Den­pa­sar 5.590 km

Quel­le: Stu­dio­sus Sicher­heit